Unsere Kritik an der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung
Die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung bietet aus unserer Sicht eine Menge von Kritikpunkten, auf die wir nachfolgend eingehen und die insgesamt vielfach zu folgenden Reaktionen der verpflichteten Unternehmen und Verwaltungen führen. Das Gesetz wird von diesen Unternehmen und Verwaltungen als
- negative/unberechtigte Einflussnahme auf die Unternehmenspolitik
- Bürokratie-Monster
- in der Wirkung nutzlos
- praxisfremd
Die Gesetzesänderung wurde aus unserer Sicht denkbar schlecht kommuniziert. Obwohl seit 2014 in Kraft getreten, ist die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen immer noch ein quasi "Un-Thema".
Dazu trägt ganz entscheidend auch die Tatsache bei, dass es nach unserem Wissen bis dato noch keine förderlichen und aufklärenden redaktionellen Beiträge in den Medien gibt.
Immerhin sind auch der kleine Blumenhändler und die Bäckerei um die Ecke zur Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen verpflichtet.


Analysiert, ggfs. optimiert und dokumentiert werden im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen (PGB) mit dem Ziel der Verhältnis-Präventionen lediglich psychische Belastungen, die aus den betrieblichen Verhältnissen resultieren.
Es ist aber unbestritten, dass für psychische Belastungen und daraus möglicherweise resultierende psychische Gefährdungen nicht nur die betrieblichen Verhältnisse, sondern auch das individuelle Verhalten,
das individuelle Gesundheitsmanagement
und die betrieblichen und individuellen Ressourcen verantwortlich sind.
Verhältnis-Prävention und Verhaltens-Prävention sind zwei Seiten ein und derselben Medaille und bedingen sich in den meisten Fällen.

Studien belegen die Vermutung, dass die psychische Gesundheit der Menschen zu etwa ein Viertel von den Arbeitsbedingungen beeinflusst wird. Drei Viertel der Einflüsse kommen aus Sektoren, die von den Unternehmen nicht direkt beeinflusst werden. Eine saubere Trennung ist allerdings nicht möglich, da
- Probleme aus dem privaten Bereich in die Arbeit
- und umgekehrt Probleme aus dem Arbeitsbereich in den privaten Bereich
Vor allen Dingen in den angelsächsischen Ländern wird diese Problematik mit dem Konzept des Employee Assistance Program (EAP)
sehr wirkungsvoll adressiert.

Das Gesetz zur Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen vernachlässigt nach unserer Einschätzung extrem wichtige Einflussfaktoren auf die betrieblichen Verhältnisse, die nicht in den Prozess integriert sind und damit auch nicht analysiert und ggfs. optimiert werden.
Besonders graviernd ist die Vernachlässigung beispielsweise der Komponenten "Führungssystem und -leitlinen" sowie "Unternehmens-Ziele und -Strategien".
Für viele der insgesamt ca. 3,5 Mio. verpflichteten Unternehmen und Verwaltungen ergeben sich teilweise gravierende organisatorische und fachliche Probleme bei dem gesetzeskonformen Umgang mit der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen
- Mengen-Problem (pro Arbeitsplatz-Kategorie sind zur Bearbeitung von bis zu 34 Einzel-Merkmalen bis zu 170 Prozess-Schritte erforderlich)
- Prozess-Steuerungs-Problem (obligatorischer Prozess-Ablauf aus Analyse, Verbesserungs-maßnehmen, Wirkungsprüfung und Dokumentation)
- Kompetenz- und Know How-Problem (psychische Belastungen sind nicht eindeutig messbar, es gibt keine Grenzwerte, es besteht die Notwendigkeit von fundiert fachliche Diagnosen)
- Akzeptanz-Problem
(mangelhafte Informationen, Missverständnisse, Unsicherheit, Befürchtungen bezüglich der Einflussnahme auf die jeweilige Unternehmens-Politik)

Das Gesetz wird fast ausschließlich als Maßnahme kommuniziert, die aus den Arbeitsbedingungen resultierenden psychischen Belastungen zu optimieren, um damit Rechtssicherheit gegenüber den Prüfbehörden zu erlangen.
Dass aber eine fundierte Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen auch als wichtige Etappe hin zum Betrieblichen Gesundheitsmanagement und letztlich zum Gesunden Unternehmen und damit zu einer klassischen Win-Win-Situation weiterentwickelt werden kann, wird leider unzureichend kommuniziert.
Es fehlt demnach an einer schlüssigen Nutzen-darstellung für beide Seiten, die Beschäftigten und die Unternehmen.